Ein falsch dosiertes Medikament für ein Kind kann lebensbedrohlich sein. Im Gegensatz zu Erwachsenen reagieren Kinder empfindlicher auf Medikamente - ihr Körper verarbeitet Substanzen anders, und die Grenze zwischen sicherer und gefährlicher Dosis ist oft nur ein paar Milligramm breit. Jedes Jahr kommen in der Schweiz und weltweit Hunderte von Fällen vor, bei denen Kinder durch falsche Dosierungen schwer geschädigt werden. Die gute Nachricht: Die meisten dieser Fehler sind vermeidbar. Wenn Sie als Elternteil, Pflegekraft oder medizinisches Personal das Rezeptetikett eines Kindes überprüfen, gibt es klare, einfache Schritte, die jede Gefahr ausschließen.
Prüfen Sie, ob das Gewicht in Kilogramm angegeben ist
Das erste, was Sie auf dem Rezeptetikett suchen müssen, ist das Gewicht des Kindes - und zwar in Kilogramm. Viele Rezepte enthalten noch immer das Gewicht in Pfund, besonders wenn sie von Ärzten stammen, die nicht spezialisiert auf Kindermedizin sind. Aber das ist gefährlich. Eine Studie des Pennsylvania Patient Safety Authority zeigte, dass 22,4 % aller Berechnungsfehler bei Kindern auf falsche Umrechnung von Pfund in Kilogramm zurückzuführen sind. Die Umrechnung ist einfach: 1 kg = 2,2 lb. Wenn das Kind 33 Pfund wiegt, dann ist das 15 kg (33 ÷ 2,2). Wenn das Gewicht nicht in kg angegeben ist, fragen Sie nach - und schreiben Sie es selbst auf das Etikett, wenn Sie es abholen.
Verstehen Sie die Dosierung in mg/kg, nicht nur in mL
Ein häufiger Fehler ist, dass Eltern nur die Menge in Millilitern (mL) sehen und glauben, das sei die Dosis. Aber die gefährliche Information steht nicht auf der Flasche - sie steht im Rezept: die Dosis pro Kilogramm Körpergewicht. Zum Beispiel: „Amoxicillin 40 mg/kg/Tag“. Das bedeutet: Für jedes Kilogramm Körpergewicht bekommt das Kind 40 Milligramm des Medikaments pro Tag. Wenn das Kind 15 kg wiegt, dann ist die tägliche Gesamtdosis 600 mg (15 × 40). Diese 600 mg werden dann auf zwei oder drei Dosen aufgeteilt - je nach Anweisung. Wenn das Etikett nur „10 mL“ steht, ohne dass die mg-Konzentration oder das Gewicht genannt ist, ist das unvollständig und riskant. Die FDA fordert seit 2021, dass alle Flüssigmedikamente für Kinder beide Angaben haben: die Menge in mg und die Volumenangabe in mL.
Überprüfen Sie die Konzentration der Flüssigkeit
Nicht alle Amoxicillin-Lösungen sind gleich. Eine Flasche kann 40 mg pro mL enthalten, eine andere 80 mg pro mL. Wenn Sie die Konzentration nicht kennen, können Sie leicht eine Dosis verdoppeln oder verdreifachen. Stellen Sie sich vor: Ein Rezept sagt „200 mg Amoxicillin“. Sie nehmen die Flasche mit 80 mg/mL und messen 2,5 mL - das ist korrekt. Aber wenn Sie versehentlich die Flasche mit 40 mg/mL nehmen, messen Sie auch 2,5 mL - dann geben Sie nur 100 mg, also die Hälfte. Oder schlimmer: Sie denken, „200 mg“ bedeutet „2,5 mL“, und nehmen die 80-mg/mL-Flasche - dann geben Sie 200 mg, aber wenn die Konzentration 40 mg/mL wäre, wären 2,5 mL nur 100 mg. Das ist verwirrend - deshalb: Stellen Sie immer die Frage: „Wie viele mg sind in jedem Milliliter?“ Schreiben Sie diese Zahl auf das Etikett. Wenn die Konzentration 80 mg/mL ist, dann ist 1 mL = 80 mg. 200 mg = 2,5 mL. Wenn die Konzentration 40 mg/mL ist, dann ist 200 mg = 5 mL. Die Zahlen ändern sich - die mg bleiben konstant.
Verwenden Sie die richtige Messvorrichtung
Ein Esslöffel ist kein medizinisches Messgerät. Ein Tee- oder Esslöffel kann zwischen 4 und 15 mL enthalten - völlig unzuverlässig. Die meisten Rezepte für Kinder liefern eine Spritze oder einen Messlöffel mit. Nutzen Sie nur diese. Wenn kein Messgerät dabei ist, fragen Sie in der Apotheke nach. Eine Studie der CDC zeigte, dass 37,2 % der Medikationsfehler bei Kindern unter zwei Jahren auf falsche Messung zurückzuführen sind - oft weil Eltern Küchenutensilien benutzen. Einige Apotheken bieten auch digitale Messspritzen an, die mit einem Klick die exakte Menge abgeben. Verwenden Sie diese, wenn verfügbar. Und vergessen Sie nicht: Messen Sie immer auf Augenhöhe, nicht von oben - sonst sehen Sie die Flüssigkeit falsch und geben zu viel oder zu wenig ab.
Verlangen Sie eine doppelte Überprüfung
Ein einzelner Arzt oder Apotheker kann sich irren. Deshalb fordern die American Society of Health-System Pharmacists (ASHP) seit 2021 eine doppelte Überprüfung für alle Kinderdosierungen. Das bedeutet: Der Arzt berechnet die Dosis, die Apotheke berechnet sie noch einmal - unabhängig. Wenn Sie das Etikett abholen, fragen Sie: „Hat jemand die Dosis noch einmal nachgerechnet?“ In Kinderkliniken ist das Standard. In allgemeinen Praxen nicht immer. Wenn Sie merken, dass die Dosis „zu klein“ wirkt - zum Beispiel 100 mg für ein 20 kg schweres Kind - dann ist das oft korrekt. Kinder brauchen nicht „Erwachsenendosen“, sondern Gewichtsangepasste. Ein erfahrener Kinderarzt kennt das. Aber wenn Sie unsicher sind, fragen Sie nach: „Ist diese Dosis berechnet nach mg/kg? Und wie viel ist das pro Kilogramm?“
Vermeiden Sie veraltete Formeln wie Clark’s Rule
Manche Ärzte benutzen noch alte Formeln wie „Clark’s Rule“: „Gewicht des Kindes in Pfund geteilt durch 150, mal die Erwachsenendosis“. Das ist einfach, aber ungenau. Die American Academy of Pediatrics hat diese Methode 2020 als veraltet eingestuft. Warum? Weil sie nicht berücksichtigt, wie sich der Körper eines Kleinkindes von dem eines Teenagers unterscheidet. Ein 5 kg schweres Baby braucht nicht nur ein Zehntel der Erwachsenendosis - es braucht eine ganz andere Berechnung, basierend auf seiner Entwicklung. Die einzige verlässliche Methode heute ist die direkte mg/kg-Berechnung - oder bei Chemotherapien die BSA-Methode (Körperoberfläche). Wenn Sie hören: „Wir berechnen nach Clark“, dann fragen Sie nach: „Können Sie mir die Dosis in mg/kg zeigen?“
Prüfen Sie, ob das Rezept den neuen Regeln entspricht
Seit Januar 2024 verlangt die American Academy of Pediatrics, dass alle Rezepte für Kinder zwingend das Gewicht in kg und die berechnete Dosis in mg enthalten. Wenn das Etikett nur „Geben Sie 5 mL dreimal täglich“ steht - ohne Gewicht und mg - dann ist es nicht vollständig. In der Schweiz ist das nicht gesetzlich vorgeschrieben, aber die meisten Kinderkliniken und große Apotheken folgen diesen internationalen Standards. Wenn Sie ein Rezept mit unvollständigen Angaben bekommen, gehen Sie zurück zur Praxis oder Apotheke. Bitten Sie um eine korrigierte Version. Das ist kein unnötiger Aufwand - das ist Sicherheit.
Was tun, wenn Sie unsicher sind?
Wenn Sie zweifeln - fragen Sie. Noch einmal. Und noch einmal. Niemand wird Sie für dumm halten. Im Gegenteil: Eltern, die nachfragen, verhindern mehr Fehler als alle technischen Systeme zusammen. Nutzen Sie die drei Fragen der FDA:
- Was ist die exakte Dosis in Milligramm - nicht in Millilitern?
- Ist diese Dosis passend für das aktuelle Gewicht meines Kindes?
- Können Sie mir zeigen, wie ich diese Menge mit dem bereitgestellten Messgerät genau abmessen?
Wenn Sie diese Fragen stellen, erhalten Sie nicht nur eine Antwort - Sie erhalten Sicherheit. Und wenn die Antwort verwirrend ist, holen Sie sich eine zweite Meinung. Rufen Sie die Apotheke an. Fragen Sie einen Kinderarzt. Nutzen Sie die App Ihres Krankenhauses, wenn sie eine Dosis-Check-Funktion hat. Viele EHR-Systeme wie EPIC oder Cerner warnen jetzt automatisch, wenn eine Dosis außerhalb des sicheren Bereichs liegt.
Warum ist das alles so wichtig?
Im Jahr 2022 berichtete das Institute for Safe Medication Practices, dass Kinder drei Mal häufiger als Erwachsene Medikationsfehler erleiden - und 56 % davon sind Dosierungsfehler. Ein einziger Fehler kann zu Leberversagen, Atemstillstand oder Hirnschäden führen. Aber die gute Nachricht: 95 % dieser Fehler sind vermeidbar - wenn man die einfachen Regeln befolgt. Es geht nicht darum, ein Medizin-Experte zu sein. Es geht darum, zwei Dinge zu tun: Die Zahlen verstehen und immer nachfragen. Die meisten Eltern, die einen schweren Fehler verhindert haben, sagen später: „Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte - und ich habe nicht geschwiegen.“
Technologie hilft - aber Sie sind die letzte Sicherheitsstufe
Neue Systeme wie DoseSpot oder Philips IntelliSpace überprüfen Dosen automatisch gegen 15.000 Richtlinien und korrigieren Fehler in Echtzeit. In einigen Kinderkliniken wird die Dosis jetzt sogar direkt von der Waage übernommen - wenn das Kind auf die Waage steigt, wird sein Gewicht automatisch ins System geladen und die Dosis berechnet. Das ist beeindruckend. Aber diese Systeme funktionieren nur, wenn die Daten stimmen. Wenn das Gewicht falsch eingegeben wurde - oder die Konzentration nicht erkannt wurde - dann rechnet auch die beste KI falsch. Sie sind die letzte Kontrolle. Die letzte Person, die vor der Einnahme prüft. Und das ist Ihre Aufgabe. Nicht die des Arztes. Nicht die der Apotheke. Ihre.
Geschrieben von Fenja Berwald
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