Es gibt keine echten Generika für Impfstoffe - zumindest nicht so, wie wir sie von Antibiotika oder Blutdruckmedikamenten kennen. Während Tabletten aus chemischen Verbindungen bestehen, die leicht kopiert werden können, sind Impfstoffe komplexe Biologika. Sie bestehen aus lebenden Zellen, Viren, Proteinen oder mRNA - und ihre Herstellung ist kein einfacher Reproduktionsprozess. Jeder Impfstoff ist ein winziges, hochgradig spezialisiertes biologisches System, das Monate braucht, um hergestellt zu werden. Und selbst wenn ein Unternehmen die Formel erhält, fehlt ihm oft die Infrastruktur, um sie zu produzieren.
Warum gibt es keine einfachen Kopien von Impfstoffen?
Ein herkömmliches Generikum, wie etwa Ibuprofen, kann nach Ablauf des Patents mit einfachen chemischen Methoden nachgebaut werden. Die Behörden prüfen nur, ob die Wirkstoffkonzentration im Blut gleich ist - das nennt man Bioäquivalenz. Bei Impfstoffen ist das unmöglich. Sie enthalten nicht nur einen Wirkstoff, sondern oft Dutzende von Komponenten: Zellkulturen, Trägersubstanzen, Stabilisatoren, Lipid-Nanopartikel für mRNA-Impfstoffe. Jede kleine Abweichung in der Herstellung kann die Wirksamkeit oder Sicherheit verändern. Deshalb muss jedes Impfstoff-Produkt wie ein neues Medikament genehmigt werden - mit vollständigen klinischen Studien, Qualitätskontrollen und Prüfungen der Produktionsanlage. Die FDA und die WHO akzeptieren keine Abkürzungen.
Dies bedeutet: Selbst wenn ein Unternehmen in Indien, Südafrika oder Brasilien die Formel eines Pfizer- oder Moderna-Impfstoffs erhält, kann es nicht einfach loslegen. Es braucht spezielle Reinräume mit Biosicherheitsstufe 2 oder 3, ultrakalte Kühlketten für mRNA-Impfstoffe (bis zu -70 °C), und eine Lieferkette, die nur fünf bis sieben globale Lieferanten bedienen können - etwa für die Lipid-Nanopartikel. Diese Zutaten sind nicht auf dem Markt erhältlich wie Tablettenverpackungen. Sie werden nur von wenigen Unternehmen hergestellt - und wenn ein Land wie Indien während der Pandemie seine eigenen Impfstoffe brauchte, wurden diese Lieferungen gestoppt. Die globale Versorgung brach zusammen.
Wer produziert Impfstoffe weltweit?
Die Welt produziert Impfstoffe heute fast ausschließlich in fünf Unternehmen: GSK, Merck, Sanofi, Pfizer und Johnson & Johnson. Zusammen kontrollieren sie 70 % des globalen Marktes, der 2020 bei 38 Milliarden US-Dollar lag. Doch ein großer Teil der Produktionsmenge kommt aus Indien. Das Serum Institute of India ist der größte Impfstoffhersteller der Welt - er produziert 1,5 Milliarden Dosen pro Jahr. Er stellt DPT-, BCG- und Masern-Impfstoffe her, die 90 % der WHO-Bedürfnisse decken. Indien liefert 60 % der weltweiten Impfstoffmenge - aber nur 10 % des Umsatzes. Die Gewinnmargen sind extrem dünn. Ein DPT-Impfstoff kostet in Indien 20 Cent, in Deutschland oder den USA bis zu 15 Dollar.
Warum? Weil die Kosten für eine Produktionsanlage astronomisch sind. Eine einzige Impfstofflinie kostet zwischen 200 und 500 Millionen Dollar. Ein Unternehmen braucht zehn Jahre, um die nötige Expertise aufzubauen. Und selbst wenn es die Technik hat, fehlt oft das Kapital. Die WHO hat 2021 ein Technologietransfer-Zentrum in Südafrika gegründet, mit Unterstützung von BioNTech. Doch selbst mit direkter technischer Hilfe dauerte es 18 Monate, bis der erste Impfstoff dort produziert wurde - und das nur mit einer Kapazität von 100 Millionen Dosen pro Jahr. Das ist weniger als 1 % der globalen Nachfrage.
Warum haben afrikanische Länder kaum eigene Produktion?
Afrika importiert 99 % seiner Impfstoffe - obwohl es 17 % der Weltbevölkerung hat. Die Kontinentalstrategie der Afrikanischen Union will bis 2040 60 % der eigenen Bedürfnisse lokal produzieren. Dafür braucht es 4 Milliarden Dollar und zehn Jahre. Aktuell liegt die lokale Produktion bei unter 2 % des Bedarfs. Warum ist das so schwer?
Erstens: Die Infrastruktur fehlt. Es gibt kaum Laboratorien mit Biosicherheitsstufe 3, kaum ultrakalte Kühlketten, kaum qualifizierte Techniker. Zweitens: Die Rohstoffe kommen fast alle aus China oder Europa. Indien selbst importiert 70 % seiner Impfstoff-Rohstoffe aus China - und wenn China exportiert, bleibt Afrika ohne. Drittens: Die Märkte sind unattraktiv. Pharmaunternehmen investieren nicht in Länder, in denen die Bezahlung unsicher ist. Gavi, die globale Impfallianz, zahlt für einen Pneumokokken-Impfstoff in niedrigen Einkommensländern 10 Dollar pro Dosis - aber der Hersteller hat 15 Dollar gekostet. Wer will da investieren?
Und dann gibt es noch das Problem der nationalen Prioritäten. Als Indien 2021 eine zweite Welle durchlebte, stellte es die Exporte von AstraZeneca-Impfstoffen ein. Die globale Versorgung brach um 50 % ein. Afrikanische Länder, die auf indische Lieferungen angewiesen waren, blieben ohne Impfstoffe - während Europa und die USA ihre eigenen Bevölkerungen mit Dritt- und Viertimpfungen versorgten.
Warum sind Impfstoffe so teuer - und warum sinken die Preise nicht?
Bei Antibiotika sinken die Preise nach der Patentablaufzeit um 80 bis 90 %, wenn viele Generika-Hersteller auf den Markt kommen. Bei Impfstoffen passiert das nie. Der Preis für einen Pneumokokken-Impfstoff blieb jahrelang über 10 Dollar pro Dosis - obwohl die Herstellungskosten bei 2 bis 3 Dollar lagen. Warum? Weil es keine Konkurrenz gibt. Es gibt keine „Generika“-Hersteller, die schnell nachziehen können. Die Hersteller haben ein „Take-it-or-leave-it“-Modell: Wenn du nicht zahlst, bekommst du keinen Impfstoff.
Das Serum Institute hat den AstraZeneca-Impfstoff für 3 bis 4 Dollar pro Dosis produziert - viel günstiger als die 15 bis 20 Dollar, die westliche Hersteller verlangten. Aber selbst das war kaum rentabel. Die Kosten für Reinräume, Kühlung, Personal und Qualitätskontrolle fraßen die Gewinne auf. Und wenn die Nachfrage sinkt, bleibt die Anlage stehen - und die Schulden bleiben.
Was ändert sich? Gibt es Hoffnung?
Einige Fortschritte gibt es. Die WHO hat jetzt Technologietransfer-Hubs in Südafrika, Indonesien und Brasilien. Die Medicines Patent Pool vermittelt Lizenzen für mRNA-Technologie. Die USA haben 2025 ein Pilotprogramm gestartet, um generische Impfstoffe, die im eigenen Land produziert werden, schneller zu genehmigen. Das könnte die Abhängigkeit von China und Indien reduzieren - aber nur für den US-Markt.
Der größte Hebel bleibt: Investitionen. Nicht in Patente, nicht in Lobbying, nicht in Verträge mit Pharma-Konzernen - sondern in physische Fabriken, in Ausbildung von Technikern, in lokale Lieferketten. Ein Land wie Äthiopien hat gerade eine kleine mRNA-Fabrik gebaut - mit Hilfe von Südafrika und der EU. Sie produziert noch nicht Millionen, aber sie produziert. Und das ist der Anfang.
Die Lösung liegt nicht in der Schaffung von „Generika“ - denn das ist technisch unmöglich. Die Lösung liegt in der Schaffung von unabhängigen Produzenten. Länder, die ihre eigenen Impfstoffe herstellen können - nicht weil sie es sich leisten können, sondern weil sie es sich nicht mehr leisten können, auf andere zu warten.
Was können wir lernen?
Die Pandemie hat gezeigt: Wenn Impfstoffe nur in wenigen Ländern produziert werden, ist die globale Gesundheit ein Spiel der Macht - nicht der Bedürfnisse. Indien kann 60 % der Welt mit Impfstoffen versorgen - aber nur, solange es seine eigene Bevölkerung nicht braucht. Afrika kann 99 % seiner Impfstoffe importieren - aber nur, solange die Lieferketten nicht brechen. Und Europa und die USA haben Milliarden in ihre eigenen Impfstoffe investiert - aber nicht in die Fähigkeit anderer Länder, selbst zu produzieren.
Die Zukunft der globalen Gesundheit hängt nicht davon ab, wer die billigsten Impfstoffe verkauft. Sie hängt davon ab, wer die Fabriken baut - und wer sie auch dann noch betreibt, wenn die Krise vorbei ist.
Gibt es echte Generika für Impfstoffe wie bei Tabletten?
Nein. Impfstoffe sind Biologika - komplexe Moleküle, die aus lebenden Zellen hergestellt werden. Sie können nicht durch einfache chemische Nachahmung kopiert werden. Jeder Impfstoff muss als neues Produkt mit vollständigen klinischen Studien und Qualitätsprüfungen zugelassen werden - ähnlich wie ein neues Medikament. Es gibt keine Abkürzungen wie bei kleinen Molekülen.
Warum produziert Indien so viele Impfstoffe, aber nicht genug für sich selbst?
Indien ist der größte Impfstoffhersteller der Welt, aber die meisten Produkte werden exportiert - vor allem in niedrig- und mittelinkommensländer. Die Produktionskosten sind niedrig, die Gewinnmargen aber extrem dünn. Während der Pandemie musste Indien seine Exporte stoppen, als die eigene Bevölkerung dringend Impfstoffe brauchte. Das zeigt: Die Produktion ist auf Exporte ausgerichtet, nicht auf nationale Sicherheit.
Warum können afrikanische Länder nicht einfach Impfstoffe nachmachen?
Es fehlt an Infrastruktur, Fachwissen und Rohstoffen. Afrika importiert 99 % seiner Impfstoffe. Selbst wenn Technologie übertragen wird - wie im WHO-Hub in Südafrika - dauert es Jahre, bis die Produktion läuft. Die Lieferketten für kritische Zutaten wie Lipid-Nanopartikel sind global konzentriert und anfällig für Unterbrechungen. Zudem fehlt das Kapital: Eine Fabrik kostet bis zu 500 Millionen Dollar.
Warum sinken die Preise für Impfstoffe nicht wie bei Generika?
Weil es kaum Konkurrenz gibt. Bei Tabletten kommen viele Hersteller nach, und der Preis bricht ein. Bei Impfstoffen gibt es nur wenige Hersteller mit hohen Einstiegshürden. Die Preise bleiben hoch, weil die Nachfrage oft über die Versorgung hinausgeht - und Käufer keine Alternativen haben. Gavi zahlt oft mehr als die Herstellungskosten, weil es keine günstigeren Optionen gibt.
Können neue Technologien wie mRNA die Situation verbessern?
Ja - aber nur, wenn die Technologie wirklich geteilt wird. mRNA-Impfstoffe sind einfacher zu entwickeln als herkömmliche, aber die Herstellung bleibt komplex: Sie brauchen ultrakalte Kühlung, spezielle Lipide und hochpräzise Maschinen. Die WHO-Hubs zeigen, dass es möglich ist - aber die Kapazitäten sind winzig. Ohne massive Investitionen in lokale Produktion bleibt mRNA nur eine Lösung für reiche Länder.
Geschrieben von Fenja Berwald
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