Ein Patient nimmt seit Jahren Levothyroxin ein - stabil, ohne Beschwerden. Dann wechselt die Apotheke ohne Nachfrage auf ein generisches Präparat. Zwei Wochen später kommt er mit Herzrasen, Schweißausbrüchen und extremen Müdigkeit zurück. Die Blutwerte zeigen: der Spiegel ist abgestürzt. Der Grund? Die Apotheke hat das Medikament ersetzt, obwohl der Arzt ausdrücklich Prescriber Override verlangt hatte. Der Patient hatte keine Ahnung, dass das generische Produkt nicht gleichwertig war. Und der Arzt? Er dachte, er hätte alles richtig gemacht.
Was ist ein Prescriber Override?
Prescriber Override bedeutet, dass ein Arzt verlangt, dass ein Medikament genau so abgegeben wird, wie er es verschrieben hat - also als Markenprodukt und nicht als günstigeres Generikum. Das ist kein Wunsch, sondern eine rechtliche Anweisung. In den meisten US-Bundesstaaten dürfen Apotheker Generika anstelle von Markenmedikamenten abgeben, wenn sie als therapeutisch gleichwertig gelten. Doch dieser Standard kann durch den Arzt aufgehoben werden. Dafür gibt es klare Codes, Formulare und gesetzliche Vorgaben.
Der häufigste Code dafür ist DAW-1 - das bedeutet: „Substitution nicht erlaubt durch den Verschreiber“. Wenn dieser Code auf der Rezeptur steht, muss die Apotheke das Markenmedikament abgeben, egal wie teuer es ist. Es ist kein Versehen, kein Hinweis, kein Vorschlag - es ist eine Pflicht.
Warum braucht man das überhaupt?
Generika sparen Milliarden. Zwischen 2010 und 2019 haben sie den US-Gesundheitssystemen über 2,2 Billionen Dollar eingespart. Das ist enorm. Aber nicht jedes Medikament ist gleich. Bei einigen Wirkstoffen sind selbst kleinste Unterschiede in der Formulierung oder den Hilfsstoffen kritisch.
Beispiele:
- Levothyroxin - ein Schilddrüsenhormon. Unterschiedliche Generika können die Aufnahme im Darm leicht verändern. Bei Patienten mit Herzproblemen oder Schilddrüsenkrebs kann das zu einer Über- oder Untertherapie führen - mit lebensbedrohlichen Folgen.
- Warfarin - ein Blutverdünner. Eine minimale Veränderung der Bioverfügbarkeit kann zu Blutungen oder Thrombosen führen.
- Phenytoin - ein Antiepileptikum. Ein Wechsel kann Anfälle auslösen, selbst wenn das Generikum laut Orange Book „gleichwertig“ ist.
Die FDA führt die Orange Book - eine offizielle Liste, die alle therapeutisch gleichwertigen Medikamente aufführt. Doch selbst dort gibt es Ausnahmen. Ein „A“-Rating bedeutet nicht immer „sicher für jeden“. Manche Patienten reagieren auf bestimmte Füllstoffe, Farbstoffe oder Bindemittel in Generika allergisch oder unverträglich. Und manche Ärzte wissen einfach: Dieser Patient hat jahrelang mit diesem einen Markenpräparat stabil gelegen. Warum riskieren?
Wie funktioniert der Override in der Praxis?
Es gibt keine einheitliche Regel in den USA. Jeder Bundesstaat macht es anders. Das ist das größte Problem.
Ein Arzt in Kalifornien muss auf dem Rezept schreiben: „Brand Medically Necessary“ und unterschreiben. In Texas reicht eine zweizeilige Notation gemäß der staatlichen Verwaltungsordnung. In Kentucky muss der Arzt handschriftlich „Brand Medically Necessary“ schreiben - und das funktioniert nur, wenn das Rezept papierbasiert ist. Bei elektronischen Rezepten? Dann muss das System den richtigen DAW-Code setzen. Aber viele elektronische Gesundheitsakten (EHR) haben Standardvorgaben: „Generikum abgeben“. Und der Arzt klickt einfach durch, ohne zu merken, dass er den Override abgewählt hat.
Und dann kommt die Apotheke. Manche Apotheker prüfen nicht, ob der Code korrekt gesetzt ist. Manche sehen „DAW-1“ und denken: „Das ist teuer - ich frag lieber nach.“ Sie rufen an, fragen, ob der Arzt das wirklich will. Und der Arzt? Der ist im Stress, hat 20 Patienten vor sich, sagt: „Ja, schon gut, dann nehmen wir das Generikum.“ Und schon ist der Override hinfällig - und der Patient ist in Gefahr.
Was passiert, wenn es schiefgeht?
Die Zahlen sind erschreckend.
Ein Survey unter 1.247 Ärzten auf Sermo zeigte: 63 % hatten Probleme mit den unterschiedlichen Vorgaben der Bundesstaaten. 41 % sagten: „Mein EHR-System passt nicht zu den Anforderungen meines Bundesstaates.“ 37 % berichteten: „Apotheken ignorieren oder verstehen meinen Override nicht.“
Im Jahr 2022 dokumentierte das Institute for Safe Medication Practices 27 schwere Zwischenfälle - alle mit Medikamenten wie Warfarin, Phenytoin oder Levothyroxin. Ein Patient in Texas wurde nach einem unerlaubten Wechsel ins Krankenhaus eingeliefert - mit Thyroid Storm, einer lebensbedrohlichen Überfunktion der Schilddrüse. Der Arzt hatte DAW-1 gesetzt. Die Apotheke hatte es ignoriert. Der Patient war nicht informiert. Niemand hatte nachgefragt.
Und die Kosten? DAW-1-Rezepte kosten durchschnittlich 32,7 % mehr als generische. Das ist teuer. Aber teurer ist es, wenn ein Patient wegen eines falschen Wechsels ins Krankenhaus kommt - oder stirbt.
Warum übertreiben viele Ärzte?
Ein großer Teil der Über-Overrides kommt nicht aus medizinischer Notwendigkeit, sondern aus Unwissenheit oder Angst.
Studien zeigen: Nur 58,3 % der Ärzte verstehen die Vorgaben ihres Bundesstaates richtig. 22,7 % geben unbeabsichtigt Generika frei, weil sie den falschen Haken gesetzt haben. Viele Ärzte glauben: „Generika sind immer schlechter.“ Das ist falsch. Bei den meisten Medikamenten - Antibiotika, Blutdruckmittel, Statine - sind Generika genauso wirksam. Aber bei engen Therapiebereichen? Da ist die Angst berechtigt.
Dr. William Shrank von UnitedHealth Group sagt: „Ärzte überschätzen oft die klinische Bedeutung kleiner Formulierungsunterschiede.“ Das führt dazu, dass jedes vierte DAW-1-Rezept unnötig ist. Die Versicherer schätzen, dass dadurch jährlich 7,8 Milliarden Dollar unnötig ausgegeben werden.
Und die PBM-Unternehmen - wie Express Scripts - sehen das als Störung ihres Formularmanagements. Sie wollen, dass Generika verwendet werden, um Kosten zu senken. Aber sie wissen auch: Wenn sie zu streng sind, passieren Fehler. Deshalb verlangen sie jetzt bei DAW-1-Rezepten oft eine vorherige Genehmigung. Der Arzt muss dokumentieren, warum er das Markenmedikament braucht. Und das dauert Zeit.
Wie macht man es richtig?
Es gibt Lösungen - und sie sind einfach, wenn man sie kennt.
- Kennt die Regeln eures Bundesstaates. In Illinois muss man ein Kästchen ankreuzen. In Oregon reicht eine E-Mail. In Michigan muss man „DAW“ oder „Dispense as Written“ handschriftlich schreiben. Wer das nicht weiß, macht Fehler.
- Verwendet EHR-Vorlagen, die mit eurem Bundesstaat kompatibel sind. Viele Kliniken haben jetzt spezielle Templates für „Prescriber Override“. Sie zeigen automatisch den richtigen DAW-Code an. Kein Klicken, kein Vergessen.
- Erklärt es dem Patienten. Sagt: „Ich schreibe hier, dass Sie genau dieses Medikament bekommen müssen. Nicht irgendein anderes. Es ist wichtig für Ihre Gesundheit.“ Das macht den Patienten zum Verbündeten. Wenn die Apotheke fragt, sagt er: „Ja, mein Arzt hat es verlangt.“
- Prüft die Orange Book-Liste. Wenn ihr unsicher seid: Ist das Generikum wirklich als „A“-wertig eingestuft? Wenn nicht, dann ist der Override klar gerechtfertigt.
- Verwendet immer den korrekten Code: DAW-1. Kein „No Substitution“, kein „Brand Only“, kein „Do Not Substitute“. Nur DAW-1 wird von allen Systemen erkannt.
Ein Beispiel aus Michigan: 15 Kliniken haben ein standardisiertes Protokoll eingeführt - mit vorgefertigten Rezeptvorlagen, Schulungen für Ärzte und Apotheker, und regelmäßigen Audits. Ergebnis? 42,3 % weniger Fehler bei der Übertragung von Overrides.
Was kommt als Nächstes?
Der Druck wächst. Die Kosten steigen. Die Fehler passieren. Deshalb wird jetzt über eine bundesweite Regelung nachgedacht. Der „Standardized Prescriber Override Protocol Act“ soll bis 2026 einheitliche Anforderungen für alle Bundesstaaten einführen. Die FDA arbeitet an der neuen Version der Orange Book (Version 4.0), die auch Biosimilars berücksichtigt. Und die NCPDP integriert die Override-Anforderungen direkt in die nächste Version des e-Rezept-Standards - voraussichtlich im dritten Quartal 2024.
Doch solange das nicht da ist, bleibt die Verantwortung beim Arzt. Nicht bei der Apotheke. Nicht bei der Versicherung. Bei ihm.
Was passiert, wenn ich es nicht mache?
Wenn ihr einen Patienten mit Levothyroxin, Warfarin oder Phenytoin versorgt - und nicht DAW-1 setzt - und dann passiert etwas Schlimmes? Dann ist es nicht die Apotheke, die verklagt wird. Es ist der Arzt. Denn er hat die medizinische Verantwortung. Und wenn er den Standard ignoriert hat, weil er „nicht wusste, wie es geht“, dann ist das fahrlässig.
Es ist nicht nur eine Frage der Kosten. Es ist eine Frage der Sicherheit. Und manchmal geht es nicht um 30 Dollar mehr pro Monat. Es geht um ein Leben.
Die Lösung ist nicht, alle Generika zu verbieten. Die Lösung ist, sie dort zu nutzen, wo sie sicher sind - und dort, wo sie gefährlich sein könnten, den Arzt entscheiden zu lassen. Dafür gibt es den Prescriber Override. Und er muss richtig verwendet werden.
Geschrieben von Fenja Berwald
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