Stell dir vor, ein einziges Medikament taucht in den Nachrichten auf, löst Diskussionen zwischen Ärzten, Patienten und Politikern aus – und schafft es sogar, als Hoffnungsträger und Risikofaktor gleichzeitig zu gelten. Genau das ist bei Plaquenil passiert. Wo andere Tabletten kaum jemanden interessieren, wird bei diesem Präparat heftig diskutiert. Warum? Es steckt mehr dahinter als nur ein Mittelchen gegen Malaria oder Rheuma.
Was ist Plaquenil und wie wirkt es?
Plaquenil ist eigentlich unter seinem Wirkstoffnamen Hydroxychloroquin bekannt. Die kleine Tablette sieht harmlos aus, aber die Wirkung reicht ziemlich weit. Ursprünglich entwickelt, um Malaria zu behandeln, wurde sie ab den 1950er Jahren plötzlich als Geheimwaffe bei Autoimmunerkrankungen wie Lupus und rheumatoider Arthritis entdeckt. Und ja, das klingt schon mal ziemlich besonders. Hydroxychloroquin wirkt, indem es das Immunsystem beeinflusst und bestimmte Prozesse im Körper, die Entzündungen verursachen, herunterfährt. Bei Malaria blockiert es den Stoffwechsel des Parasiten, der für die Krankheit verantwortlich ist.
Ein Blick ins Labor: Forscher fanden heraus, dass Hydroxychloroquin bestimmte Enzyme und chemische Botenstoffe im Körper hemmt. Es verhindert zum Beispiel, dass Zellen Fresszellen werden und Entzündungen losschicken. Dadurch werden die Schmerzen und Schübe bei Autoimmunerkrankungen weniger. In der Rheumatologie ist Plaquenil so etwas wie der verlässliche Alltagshelfer, weil es kaum mit den ganz schlimmen Nebenwirkungen aufwartet, die andere Medikamente verursachen können. Wer stellt das her? Der französische Konzern Sanofi liefert in Europa den Großteil, aber auch Generika-Hersteller sind seit Jahren mit dabei.
Was noch ziemlich spannend ist: Plaquenil ist eigentlich ein sogenanntes Antirheumatikum, wird aber immer wieder durch neue Studien auch für weitere Anwendungen untersucht. In der Corona-Pandemie kursierten plötzlich Gerüchte, das Medikament könne auch gegen das Virus helfen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben das aber schnell relativiert: Es gibt keine verlässlichen Daten für die Wirkung bei COVID-19. Also besser nicht auf Verdacht schlucken.
"Hydroxychloroquin ist bei richtiger Indikation ein bewährtes und gut verträgliches Medikament – aber kein Allheilmittel", sagt Dr. med. Martin Krusche vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Spannend: Plaquenil ist auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente der Weltgesundheitsorganisation. Das steht garantiert nicht jeder Tablette zu.
Anwendungsgebiete: Wann kommt Plaquenil zum Einsatz?
Viele denken bei Plaquenil nur an Malaria. Und klar, in den Tropen ist es tatsächlich oft ein Lebensretter. Doch der wichtigste Einsatzbereich liegt in Europa ganz woanders. Rheumatologen und Internisten verschreiben es besonders gern bei chronischen Entzündungen, also Krankheiten, bei denen das Immunsystem die eigenen Zellen angreift. Das Paradebeispiel: Lupus erythematodes. Jeder mit dieser Diagnose weiß, wie wild der Körper plötzlich werden kann. Mit Plaquenil lassen sich die Symptome oft erträglicher machen, indem die Überreaktion des Immunsystems gebremst wird.
Auch bei rheumatoider Arthritis – dieser echten Volkskrankheit, bei der viele Betroffene jahrelang unter Schmerzen und versteiften Gelenken leiden – kann Plaquenil ohne schwere Nebenwirkungen das Krankheitsbild verbessern. Was viele nicht wissen: Sogar bei bestimmten Hauterkrankungen wie der Hautform des Lupus und seltenen Krankheiten wie Porphyria cutanea tarda greifen Ärztinnen und Ärzte manchmal auf Plaquenil zurück. Und noch ein Spezialfall: In Kombination mit anderen Medikamenten ist es ein Baustein der Therapie bei bestimmten Kinderrheumaformen. In Deutschland sind die wichtigsten Indikationen tatsächlich autoimmune und entzündliche Erkrankungen, Malaria steht eher im Hintergrund – außer vielleicht bei Vielreisenden nach Afrika oder Südostasien.
Das Medikament gibt es nur auf Rezept. Meistens starten Ärzte mit einer niedrigeren Dosis und steigern dann, bis die optimale Balance zwischen Wirkung und Nebenwirkungen gefunden wurde. Was bei Plaquenil besonders auffällt: Die Wirkung setzt nicht sofort nach der ersten Tablette ein. Viele spüren erst nach Wochen oder sogar Monaten eine Verbesserung. Diese Geduld zahlt sich aber häufig aus.
Bei Kindern wird Plaquenil sehr vorsichtig und nur in begründeten Ausnahmefällen verordnet. Schwangere können – wenn der Arzt es für notwendig hält – in bestimmten Situationen weiter behandelt werden, weil die Vorteile oft überwiegen. In der Stillzeit landet nur ein winziger Anteil des Wirkstoffs in der Muttermilch. Dennoch sollte jede Einnahme eng mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden.
Tipps zur Anwendung, regelmäßige Kontrollen und mögliche Nebenwirkungen
Klar, Tabletten im Alltag sind selten Lieblingsthema. Aber bei Plaquenil gibt es tatsächlich ein paar Dinge, die helfen, damit alles möglichst problemlos abläuft. Erstens: Die Tablette wird am besten immer zur gleichen Tageszeit mit einer Mahlzeit eingenommen. Das verringert Magenbeschwerden, die sonst auftreten können. Zweitens: Unbedingt regelmäßig zur ärztlichen Kontrolle gehen! Der Grund ist einfach – Plaquenil kann die Netzhaut im Auge angreifen. Das passiert selten, ist aber zum Glück meist umkehrbar, wenn es früh entdeckt wird. Deshalb gibt es klare Empfehlungen: Vor Beginn der Therapie ein Termin beim Augenarzt, danach mindestens einmal pro Jahr Check-Up mit Gesichtsfeldmessung und speziellen Untersuchungen der Netzhaut.
Welche Nebenwirkungen sind bekannt? Die allermeisten Menschen vertragen das Medikament richtig gut. Magen-Darm-Beschwerden wie leichte Übelkeit, Bauchschmerzen oder Durchfall kommen schon mal vor, gehen aber oft wieder weg. Selten treten Hautveränderungen, Juckreiz oder Haarausfall auf. Die Netzhautveränderungen (Retinopathie) haben in Deutschland in den vergangenen Jahren für Aufsehen gesorgt, weil es ein paar bekannte Fälle gab. Fakt: Das Risiko steigt deutlich, wenn die Dosis zu hoch ist oder die Therapie länger als fünf Jahre dauert. Wer aber alle Kontrollen einhält, ist praktisch auf der sicheren Seite. Ein weiteres Risiko besteht bei schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz. Dann muss die Dosis in der Regel verringert oder ganz von der Therapie abgesehen werden.
Für Sportlerinnen und Sportler: Es gibt keine Hinweise, dass Plaquenil die Leistungsfähigkeit einschränkt oder im Doping-Test beanstandet wird. Für Autofahrer relevant: Extrem selten vorkommende Sehstörungen könnten sich beim Autofahren bemerkbar machen – dann bitte nicht hinters Steuer setzen und sofort zum Arzt.
Wusstest du, dass Grapefruit den Stoffwechsel von Plaquenil beeinflussen kann? Lieber Finger weg von Grapefruit und Grapefruitsaft, wenn du täglich deine Tablette nimmst. Auch Medikamente, die das Herz beeinflussen (wie einige Antibiotika oder Antidepressiva), können zusammen mit Hydroxychloroquin die QT-Zeit im EKG verlängern. Das ist selten, aber lebenswichtig. Tipp: Liste regelmäßig alle Medikamente, die du einnimmst, beim Arztbesuch auf.
- Plaquenil regelmäßig einnehmen, nicht eigenmächtig absetzen.
- Magenprobleme? Versuch es mit Milch oder einem kleinen Snack dazu.
- Starke, neue Beschwerden? Nicht abwarten, lieber direkt herausfinden (bei Arzt oder in der Notaufnahme melden).
- Regelmäßige Augenarzttermine nicht vergessen!
Forschung, Zukunft und spannende Fakten rund um Plaquenil
Wusstest du, dass Hydroxychloroquin seit mehr als 70 Jahren im Einsatz ist? Es gibt wirklich nicht viele Medikamente, die so lange auf dem Markt bestehen. Gerade deswegen gibt es eine riesige Datenlage. Aktuell laufen ständig Studien, die untersuchen, ob das Medikament noch mehr kann. Zum Bespiel bei neuen Therapieansätzen gegen seltene Nervenkrankheiten, bestimmte Krebsarten oder sogar Alzheimer. Die Ergebnisse klingen vielversprechend, aber für den Alltagseinsatz fehlt noch der letzte Beweis.
Ein weiteres spannendes Feld: Das Medikament ist zwar schon ein alter Hase, aber Forscher versuchen, die Dosis und Einnahme noch sicherer zu machen. Hier steht besonders die Augenverträglichkeit im Fokus. Neue Studien aus Schweden und Frankreich testen, ob mit kleineren Tagesdosen die gleiche Wirkung erreicht werden kann, ohne das berühmte Risiko für die Netzhaut. Auch die Technologie macht Fortschritte: Spezielle Apps helfen, Augen-Check-ups zu koordinieren und Nebenwirkungen früher zu erkennen.
2020 war Plaquenil plötzlich auf der ganzen Welt bekannt, weil es als vermeintliche Waffe gegen das Corona-Virus galt. Politiker und Laien diskutierten heftig, es gab Hamsterkäufe in Apotheken, Lieferengpässe in Kliniken. Die Europäische Arzneimittel-Agentur stellte klar: "Die aktuelle Evidenz reicht nicht aus, um Hydroxychloroquin für COVID-19 zu empfehlen." Trotzdem bleibt das Medikament für viele Patientinnen und Patienten mit Autoimmunerkrankungen unverzichtbar. Und noch ein kurioser Fakt: In Afrika, wo Malaria eine ständige Gefahr ist, ist Plaquenil der Standard – und ganz selbstverständlich in jeder Dorfarzt-Praxis verfügbar.
Was bringt die Zukunft? Forscher tüfteln daran, das Medikament mit anderen Wirkstoffen zu kombinieren, um noch gezielter helfen zu können. Das Thema Recycling „alter“ Medikamente, wie zum Beispiel Plaquenil, ist in Wissenschaftskreisen sehr angesagt. Vielleicht wird das Präparat demnächst als Baustein in völlig neuen medizinischen Bereichen auftauchen – zum Beispiel in der Krebstherapie. Jedenfalls bleibt es spannend, wie diese kleine Tablette, die schon so lang auf dem Markt ist, immer wieder wichtige Rollen in der Medizin spielen kann.
Lust auf noch ein paar Funfacts? Plaquenil steht seit den 1950ern auf der Liste der WHO-Medikamente, darf in Frankreich seit 2015 nicht mehr ohne Rezept verkauft werden und wird im Deutschen gerne mal als “Plaquebo” (Wortspiel aus Plaquenil und Placebo) bezeichnet, weil es so gut vertragen wird und viele wenig davon spüren – bis es plötzlich hilft.
Ein Medikament mit Geschichte, Gegenwart und garantiert noch viel Zukunft.
Geschrieben von Fenja Berwald
Zeige alle Beiträge von: Fenja Berwald