Wenn du stillst und plötzlich krank wirst, stellst du dir wahrscheinlich dieselbe Frage: Welche Medikamente sind wirklich sicher? Viele Mütter hören von Ärzten, Freunden oder Online-Foren, dass sie stillen müssen aufhören - aber das ist oft nicht wahr. Die Mehrheit der Medikamente, die du einnimmst, passiert in winzigen Mengen in die Muttermilch - und selbst diese Mengen haben meistens keinen Einfluss auf dein Baby. Die wahre Gefahr liegt nicht in den Medikamenten selbst, sondern in der Angst, die sie auslösen. Jede zehnte bis jede fünfte Mutter hört auf zu stillen, nur weil sie glaubt, ein Medikament sei nicht sicher. Dabei ist es oft die falsche Information, die das Stillen beendet - nicht die Medikamente.
Wie viel Medikament kommt wirklich in die Muttermilch?
Es gibt einen einfachen Weg, das zu verstehen: Relative Infant Dose (RID). Das ist der Prozentsatz der Mutterdosis, die das Baby über die Milch aufnimmt. Ein Wert von 1 % bedeutet, dass das Baby nur ein Prozent dessen bekommt, was die Mutter eingenommen hat. Die meisten Medikamente liegen bei unter 1 % RID. Zum Vergleich: Ein Kind, das ein Medikament direkt als Sirup bekommt, nimmt viel mehr auf als über die Milch.
Einige Medikamente sind so gut wie unsichtbar in der Milch. Acetaminophen (Tylenol) hat eine RID von nur 0,04-0,23 %. Ibuprofen (Advil) liegt bei 0,38-1,85 %. Beide sind bei Babys als Kindersirup zugelassen - und das bedeutet, dass sie auch über die Milch sicher sind. Die American Academy of Family Physicians sagt klar: Diese beiden sind die erste Wahl, weil sie nicht nur sicher sind, sondern auch in der Milch kaum nachweisbar.
Schmerzmittel: Was du wirklich nehmen kannst
Acetaminophen und Ibuprofen sind die einzigen Schmerzmittel, die du ohne Bedenken nehmen kannst. Sie wirken schnell, sind gut verträglich und verlassen den Körper des Babys ebenso schnell wie den deinen. Du kannst sie sogar mehrmals täglich nehmen, solange du dich an die empfohlene Dosis hältst.
Naproxen (Aleve) ist anders. Es bleibt länger im Körper - bis zu 17 Stunden. Das bedeutet, dass es sich in der Milch ansammeln kann. Es gibt Berichte von Babys, die nach längerer Einnahme durch die Mutter Blutungen, Anämie oder Erbrechen entwickelt haben. Deshalb: Nur kurzfristig, wenn nötig. Und lieber auf Ibuprofen zurückgreifen.
Opiate wie Codein sind tabu. Die FDA hat 2010 eine Warnung herausgegeben: Einige Mütter metabolisieren Codein extrem schnell - und das bedeutet, dass ihr Baby eine toxische Dosis bekommt. Es gibt Fälle von Atemstillstand bei Babys, deren Mütter Codein nach der Geburt eingenommen hatten. Morphin und Hydromorphon sind sicherer, aber nur, wenn du die niedrigste wirksame Dosis nimmst und nur für kurze Zeit. Und immer beobachten: Ist das Baby ungewöhnlich schläfrig? Trinkt es schlecht? Dann sofort den Arzt anrufen.
Antibiotika: Die meisten sind kein Problem
Wenn du eine Infektion hast, brauchst du Antibiotika. Und ja, du kannst weiter stillen. Penicilline wie Amoxicillin sind die erste Wahl. Ihre RID liegt bei 0,3-1,5 % - und es gibt keine dokumentierten Nebenwirkungen bei Babys. Cephalosporine wie Cefalexin sind genauso sicher.
Macrolide wie Azithromycin sind ebenfalls sicher. Erythromycin hingegen hat eine kleine, aber reale Gefahr: Es wurde in einigen Fällen mit einer Verengung des Magenausgangs (hypertrophe pylorische Stenose) bei Babys in Verbindung gebracht - aber nur bei sehr seltenen Einzelfällen. Azithromycin ist die bessere Wahl, weil es nur 0,05-0,1 % in die Milch übergeht.
Fluorchinolone wie Ciprofloxacin haben eine RID von 0,5-1,0 %. Obwohl Tierstudien Angst vor Knorpelschäden machen, gibt es bei Menschenbabys keinerlei Beweise dafür. Die AAFP sagt: Sie sind sicher. Tetracycline wie Doxycyclin sind nur für maximal 21 Tage erlaubt, weil sie theoretisch die Zähne des Babys verfärben könnten - aber in 50 Jahren Forschung ist kein einziger Fall bei gestillten Babys dokumentiert. Trotzdem: Lieber kurz und sparsam.
Psychische Gesundheit: Du brauchst Hilfe - und du kannst stillen
Depression und Angst sind während der Stillzeit häufig - und sie sind behandelbar. Die beste Nachricht: Du musst nicht aufhören, dein Baby zu stillen, um dich behandeln zu lassen. Sertralin (Zoloft) und Paroxetin (Paxil) sind die am besten untersuchten Antidepressiva. Sertralin hat eine RID von 1,7-7,0 %, aber die Blutspiegel bei den Babys sind oft gar nicht messbar. Hunderte von Studien zeigen: Keine Entwicklungsauffälligkeiten, keine Verhaltensprobleme.
Fluoxetin (Prozac) ist problematischer. Es bleibt bis zu sechs Tage im Körper. Bei einigen Babys hat es zu Reizbarkeit und schlechtem Trinkverhalten geführt - etwa bei 2 % der Fälle. Deshalb: Nur, wenn andere Medikamente nicht helfen. Und dann mit großer Vorsicht.
Benzodiazepine wie Lorazepam (Ativan) sind sicher, wenn du sie kurz und selten nimmst. Ihre Halbwertszeit ist kurz - nur 10-20 Stunden. Clonazepam (Klonopin) hingegen bleibt bis zu 40 Stunden im Körper. Das bedeutet: Es kann sich ansammeln. Und das macht Babys schläfrig. Also: Nur in akuten Krisen, nie langfristig.
Antipsychotika wie Quetiapin (Seroquel) und Risperidon (Risperdal) sind bei niedrigen Dosen ebenfalls sicher. Studien zeigen: Babys entwickeln sich normal, auch wenn die Mutter monatelang diese Medikamente nimmt. Die Schlüsselregel: So wenig wie nötig, so lange wie nötig.
Allergien und Erkältungen: Was du vermeiden solltest
Nasensprays mit Kortikosteroiden wie Fluticason (Flonase) oder Budesonid (Rhinocort) sind perfekt. Sie werden kaum ins Blut aufgenommen - und damit auch nicht in die Milch. Keine Sorge, keine Nebenwirkungen.
Antihistaminika: Zweite Generation ist die Wahl. Loratadin (Claritin), Cetirizin (Zyrtec) und Fexofenadin (Allegra) haben RID-Werte unter 0,5 %. Keine Berichte über Schläfrigkeit oder Trinkprobleme bei Babys. Erste Generation wie Diphenhydramin (Benadryl) ist anders. Es hat eine RID von 1-2 % - und es macht Babys schläfrig. In 5 % der Fälle haben Babys extreme Müdigkeit gezeigt. Also: Nur in Notfällen, und dann nur einmal.
Decongestiva wie Pseudoephedrin (Sudafed) sind ein großes Problem - aber nicht, weil sie das Baby schädigen. Sie reduzieren die Milchproduktion. Eine Studie zeigte: Nach einer einzigen Dosis sinkt die Milchmenge um durchschnittlich 24 %. Einige Mütter haben so stark abgenommen, dass sie auf Flaschen umsteigen mussten. Deshalb: Vermeiden. Stattdessen Salzwasser-Spülungen, Dampfinhalationen, ausreichend Flüssigkeit.
Was ist absolut verboten?
Nicht alles ist sicher. Einige Medikamente müssen komplett vermieden werden.
- Radioaktives Jod (I-131): Wird bei Schilddrüsenkrebs oder Morbus Basedow eingesetzt. Es strahlt direkt die Schilddrüse des Babys an. Stillen muss für 3-6 Wochen abgebrochen werden.
- Chemotherapeutika: Fast alle Krebsmedikamente sind nicht sicher. Die Entscheidung muss individuell mit dem Onkologen getroffen werden. Manchmal ist Stillen unmöglich - manchmal nur vorübergehend.
- Lithium: Wird bei bipolaren Störungen verwendet. Es gelangt zu 30-50 % in die Milch. Die Blutwerte des Babys müssen wöchentlich kontrolliert werden. Wenn das nicht möglich ist, sollte nicht gestillt werden.
Die Regel von Dr. Christina Chambers vom InfantRisk Center ist einfach: Wenn ein Medikament für ein Baby als Sirup zugelassen ist, ist es meistens auch sicher für die stillende Mutter. Aber: Diese Regel braucht eine Überprüfung. Nicht alle Medikamente, die Babys bekommen, sind auch sicher über die Milch - besonders wenn sie lang wirken oder sich anreichern.
Wichtige Ressourcen für dich
Du musst dich nicht auf Glück oder Gerüchte verlassen. Es gibt verlässliche, wissenschaftlich fundierte Quellen:
- LactMed: Eine kostenlose Datenbank der US-amerikanischen National Library of Medicine. Sie enthält Daten zu über 1.000 Medikamenten - mit exakten RID-Werten, Halbwertszeiten und Berichten über Nebenwirkungen bei Babys. Du kannst sie online suchen - oder die App herunterladen.
- InfantRisk Center: Eine Hotline in Texas, die Ärzte und Mütter berät. Sie beantworten über 15.000 Anfragen pro Jahr. Du kannst sie per Telefon oder E-Mail erreichen - auch auf Deutsch.
- MotherToBaby: Ein Service, der individuelle Risikobewertungen anbietet. Sie sammeln Daten aus echten Stillfällen - nicht aus Theorien.
Die wichtigste Botschaft: Du bist nicht allein. Und du musst nicht aufhören, dein Kind zu stillen, nur weil du Medikamente brauchst. Die meisten Medikamente sind sicher. Die meisten Ärzte wissen das nicht - aber du kannst es wissen. Frag nach LactMed. Frag nach RID-Werten. Frag nach Alternativen. Dein Körper hat schon das Wunder der Muttermilch geschaffen. Jetzt hilf ihm, mit Medikamenten weiterzumachen - sicher und informiert.
Ist Ibuprofen während der Stillzeit sicher?
Ja, Ibuprofen ist sicher. Es wird nur in sehr geringen Mengen (0,38-1,85 %) in die Muttermilch übertragen und ist auch als Kindersirup zugelassen. Es wirkt schnell, ist gut verträglich und hat keine dokumentierten Nebenwirkungen bei gestillten Babys. Es ist die erste Wahl bei Schmerzen und Fieber während der Stillzeit.
Darf ich Sertralin einnehmen, wenn ich stillen will?
Ja, Sertralin ist eines der sichersten Antidepressiva während der Stillzeit. Es wird nur in geringen Mengen (1,7-7,0 %) in die Milch übertragen, und die Blutspiegel bei den Babys sind oft nicht messbar. Mehrere Studien mit Hunderten von Babys zeigen keine Entwicklungsauffälligkeiten, keine Schlafstörungen und keine Trinkprobleme. Es gilt als erste Wahl bei Depressionen während der Stillzeit.
Warum sollte ich Pseudoephedrin vermeiden?
Pseudoephedrin reduziert die Milchproduktion - nicht weil es das Baby schädigt, sondern weil es die Hormone beeinflusst, die Milch produzieren. Eine Studie zeigte, dass nach einer einzigen Dosis die Milchmenge um durchschnittlich 24 % sinkt. Bei einigen Müttern führt das zu einem so starken Rückgang, dass das Stillen nicht mehr möglich ist. Besser: Salzwasser-Spülungen, Dampf oder ein Nasenspray mit Kortikosteroiden.
Ist Fluoxetin (Prozac) während der Stillzeit sicher?
Fluoxetin ist weniger sicher als andere Antidepressiva, weil es sehr lange im Körper bleibt - bis zu sechs Tage. Es hat eine höhere RID (4-10 %) und wurde mit Reizbarkeit, Schläfrigkeit und schlechtem Trinkverhalten bei Babys in Verbindung gebracht - etwa bei 2 % der Fälle. Es sollte nur eingenommen werden, wenn andere Medikamente nicht helfen, und dann unter engmaschiger Beobachtung des Babys.
Was mache ich, wenn ich ein Medikament eingenommen habe und mir unsicher bin?
Nicht panisch werden. Die meisten Medikamente sind harmlos. Prüfe zuerst LactMed online oder rufe das InfantRisk Center an. Wenn dein Baby sich normal verhält - trinkt, schläft, wächst - ist alles in Ordnung. Wenn du unsicher bist, beobachte 24-48 Stunden: Gibt es Veränderungen im Schlafverhalten, bei der Nahrungsaufnahme oder bei der Hautfarbe? Dann kontaktiere deinen Kinderarzt. Meistens ist kein Eingreifen nötig.
Wie lange muss ich nach einer Operation mit Schmerzmitteln aufhören zu stillen?
Du musst nicht aufhören. Wenn dein Arzt Ibuprofen oder Acetaminophen verschreibt, kannst du sofort weiterstillen. Bei Opiaten wie Morphin solltest du die niedrigste Dosis nehmen und das Baby auf Schläfrigkeit achten. Meistens kannst du innerhalb von 24 Stunden wieder vollständig stillen - vorausgesetzt, du hast keine langwirksamen Medikamente bekommen. Frag immer nach der RID und nach Alternativen.
Geschrieben von Fenja Berwald
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