Warum Medikamentensicherheit bei Senioren so wichtig ist
Fast jeder zweite Mensch über 65 nimmt täglich fünf oder mehr Medikamente ein. Das ist nicht ungewöhnlich - viele haben Bluthochdruck, Diabetes, Arthritis oder Herzprobleme. Doch je mehr Pillen, desto höher das Risiko für gefährliche Fehler. Eine falsche Dosis, eine unerkannte Wechselwirkung oder ein abgelaufener Wirkstoff kann zu Stürzen, Bewusstlosigkeit oder sogar Krankenhausaufenthalten führen. In der Schweiz wie in den USA: Jedes Jahr passieren Hunderttausende vermeidbare Medikationsfehler. Die gute Nachricht: Mit einfachen, klaren Schritten lässt sich das Risiko deutlich senken.
1. Führen Sie eine aktuelle Medikamentenliste
Die wichtigste Waffe gegen Medikationsfehler ist eine genaue, aktuelle Liste. Nicht nur verschreibungspflichtige Medikamente, sondern auch Vitamine, Kräuterpräparate, Schmerzmittel aus der Apotheke und Cremes gehören dazu. Jede Pille zählt.
Die Liste sollte enthalten: Name des Medikaments, Stärke (z. B. 10 mg), wie oft und zu welcher Tageszeit eingenommen wird, warum es verschrieben wurde, wer es verschrieben hat, die Apotheke, eventuelle Nebenwirkungen und das Ablaufdatum. Aktualisieren Sie diese Liste innerhalb von 24 Stunden, wenn sich etwas ändert - egal ob ein Medikament abgesetzt, hinzugefügt oder die Dosis angepasst wurde.
Bringen Sie diese Liste zu jeder Arzt- oder Apothekerbesprechung mit. Ein Studienbericht der American Pharmacists Association zeigt: 92 % der Apotheker können so gefährliche Wechselwirkungen verhindern, wenn sie die vollständige Liste sehen. Vergessen Sie nicht, eine Kopie für einen Angehörigen oder Pflegenden bereitzuhalten. In Notfällen zählt jede Minute.
2. Nutzen Sie einen Pillenorganizer - aber richtig
Ein Pillenorganizer mit Fächern für Morgen, Mittag, Abend und Nacht ist ein unschätzbarer Helfer. Besonders wenn mehrere Medikamente zur gleichen Zeit eingenommen werden müssen, hilft er, den Überblick zu behalten.
Wählen Sie einen Organizer mit klaren Beschriftungen und großem Druck. Farbige Fächer (z. B. rot für Morgen, blau für Abend) verbessern die Erinnerung um 47 %, wie eine Studie des National Institute on Aging mit 1.200 Senioren zeigte. Für Menschen mit Gedächtnisproblemen gibt es Modelle mit Schlössern - das verhindert, dass versehentlich doppelte Dosen eingenommen werden.
Einige Pflegende haben auch eigene Lösungen gefunden: Eine Frau aus Zürich klebte Fotos der Pillen auf ein laminierter Zettel und schrieb daneben, wofür sie gut sind. „Mein Vater hat sich früher immer gefragt, ob er diese Pille schon genommen hat“, sagt sie. „Jetzt sieht er das Bild und weiß es sofort.“
Wichtig: Füllen Sie den Organizer immer am gleichen Tag der Woche - etwa sonntags. Und achten Sie darauf, dass die Pillen nicht in der Sonne oder in der feuchten Küche liegen. Die richtige Lagerung ist genauso wichtig wie die Einnahme.
3. Prüfen Sie auf Wechselwirkungen - besonders mit Alltagssubstanzen
Es reicht nicht, nur die verschriebenen Medikamente im Blick zu haben. Viele gefährliche Wechselwirkungen entstehen durch Dinge, die wir täglich nutzen: Grapefruitsaft, Alkohol, Tee, Schmerzmittel oder sogar Nahrungsergänzungsmittel.
Grapefruitsaft beeinflusst über 85 Medikamente - besonders Statine zur Cholesterinsenkung und Blutdruckmittel. Selbst ein kleines Glas kann die Wirkung so stark erhöhen, dass es zu Muskelabbau oder Nierenschäden führt. Alkohol ist ein weiterer Risikofaktor: Er verstärkt die Wirkung von Schlafmitteln, Antidepressiva und Diabetes-Medikamenten. Das kann zu starkem Schwindel, Bewusstlosigkeit oder gefährlich niedrigem Blutzucker führen.
Die American Geriatrics Society veröffentlicht alle zwei Jahre die „Beers-Kriterien“ - eine Liste von 138 Medikamenten, die bei Senioren oft riskant sind. Dazu gehören bestimmte Schlafmittel, Antihistaminika und Schmerzmittel wie Ibuprofen bei Herzproblemen. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker: „Ist dieses Medikament noch nötig? Gibt es eine sicherere Alternative?“
4. Lagern Sie Medikamente richtig - nicht im Badezimmer
Die meisten Senioren lagern ihre Medikamente im Badezimmer. Das ist eine der häufigsten und gefährlichsten Fehler. Hitze, Dampf und Feuchtigkeit zerstören die Wirkstoffe. Eine Studie der University of Florida ergab: 37 % der Medikamente, die im Badezimmer aufbewahrt werden, verlieren innerhalb von sechs Monaten ihre Wirksamkeit.
Medikamente gehören an einen kühlen, trockenen Ort - ideal zwischen 20 und 25 Grad Celsius. Ein Schrank in der Küche oder im Schlafzimmer ist besser als der Badezimmerschrank. Halten Sie alle Medikamente in den Originalverpackungen - da steht die richtige Dosierung, das Ablaufdatum und die Warnhinweise.
Wenn Kinder oder Enkelkinder im Haus leben, ist ein verschließbarer Medikamentenschrank unerlässlich. Die Giftinformationszentrale meldet jährlich über 60.000 Vergiftungen bei Kindern durch Medikamente, die nicht sicher aufbewahrt wurden. Auch abgelaufene Pillen sollten nicht einfach in den Müll geworfen werden. Viele Apotheken bieten Rücknahmestellen an - fragen Sie einfach nach.
5. Reden Sie mit Ihrem Arzt - und stellen Sie die richtigen Fragen
Die meisten Medikationsfehler entstehen nicht durch Unwissenheit, sondern durch Schweigen. Viele Senioren schweigen, weil sie nicht stören wollen. Andere wissen nicht, was sie fragen sollen.
Erstellen Sie sich vor jedem Arzttermin eine kleine Liste mit Fragen. Die wichtigsten sind:
- „Ist dieses Medikament noch nötig?“ - Manche Pillen werden jahrelang weitergegeben, obwohl die Ursache längst verschwunden ist.
- „Welche Wechselwirkungen sollte ich besonders beachten?“ - Nicht nur mit anderen Medikamenten, sondern auch mit Essen, Getränken oder Ergänzungsmitteln.
- „Gibt es eine günstigere Alternative?“ - Viele teure Medikamente haben preiswerte Generika mit derselben Wirkung.
- „Welche Nebenwirkungen sind gefährlich? Wann muss ich sofort zum Arzt?“ - Schwindel, Verwirrtheit, Hautausschlag, Atemnot - das sind Warnsignale, die man nicht ignorieren darf.
Die Alzheimer’s Association hat festgestellt: Mit strukturierten Gesprächen sinken Medikationsfehler bei Demenzpatienten um 63 %. Sprechen Sie offen - auch wenn es unbequem ist. Ein guter Arzt freut sich über Fragen. Sie zeigen, dass Sie sich um Ihre Gesundheit kümmern.
Was noch hilft: Technik, Routine und Unterstützung
Einige Senioren nutzen digitale Apps wie Medisafe oder Hero, die Erinnerungen senden und Pflegenden mitteilen, wenn eine Dosis vergessen wurde. Studien zeigen: Diese Systeme erhöhen die Einnahmequote von 55 % auf 89 %. Aber sie funktionieren nur, wenn die Person die Erinnerung auch annimmt. Einige Senioren mit Gedächtnisproblemen ignorieren die Benachrichtigungen - und das kann gefährlich sein.
Ein einfacherer Ansatz: Die „Medikations-Buddy“-Methode. Jeden Tag zur gleichen Zeit - etwa nach dem Frühstück - wird die Medikation gemeinsam eingenommen. Ein Angehöriger, Nachbar oder Pfleger sitzt dazu. Das schafft Routine, Sicherheit und soziale Bindung. Eine Studie aus den USA zeigte: Nach sechs Wochen stieg die Einhaltungsrate von 52 % auf 85 %.
Und vergessen Sie nicht: Es braucht 21 bis 30 Tage, bis eine neue Routine sitzt. Seien Sie geduldig. Kleben Sie eine Checkliste an den Kühlschrank. Nutzen Sie große Schrift. Reden Sie mit anderen Betroffenen - in Online-Gruppen oder Selbsthilfegruppen. Sie sind nicht allein.
Was Sie nicht tun sollten
- Nichts zerdrücken, wenn nicht explizit erlaubt - besonders bei Langzeitwirkstoffen.
- Nichts mit Wasser aus der Leitung abwaschen, wenn es nicht in der Packungsbeilage steht.
- Nichts einfach aufbewahren, wenn es abgelaufen ist - auch wenn es noch „gut aussieht“.
- Nichts übersehen, weil es „nur eine Pille“ ist - jede Pille zählt.
Medikamentensicherheit ist kein einmaliger Akt. Es ist eine tägliche Praxis. Wer sie ernst nimmt, schützt nicht nur die Gesundheit - sondern auch die Unabhängigkeit und die Lebensqualität. Und das ist es wert.
Was mache ich, wenn ich vergesse, eine Pille einzunehmen?
Nicht einfach die nächste Dosis doppelt einnehmen. Prüfen Sie die Packungsbeilage oder rufen Sie Ihren Apotheker an. Bei manchen Medikamenten, wie Blutdruck- oder Diabetesmitteln, ist es sicherer, die verpasste Dosis zu überspringen. Bei anderen, wie Antibiotika, ist es wichtig, den Zeitplan so genau wie möglich einzuhalten. Wenn Sie unsicher sind, wenden Sie sich an Ihren Arzt oder Apotheker - besser zu früh als zu spät.
Können Vitamine und Kräuter mit Medikamenten interagieren?
Ja, sehr oft. Gingko biloba kann die Wirkung von Blutverdünnern verstärken und zu Blutungen führen. Johanniskraut reduziert die Wirksamkeit von Herzmedikamenten, Antidepressiva und sogar einigen Krebsmedikamenten. Vitamin K kann die Wirkung von Warfarin (ein Blutverdünner) aufheben. Auch Magnesium, Zink oder Omega-3-Fettsäuren können Wechselwirkungen verursachen. Deshalb: Alles, was Sie einnehmen - egal ob „natürlich“ oder „gesund“ - muss auf der Medikamentenliste stehen.
Warum ist es wichtig, Medikamente in der Originalverpackung zu lassen?
Die Originalverpackung enthält wichtige Informationen: Name des Wirkstoffs, Dosierung, Ablaufdatum, Hersteller und Warnhinweise. Wenn Sie die Pillen in eine andere Dose umfüllen, verlieren Sie diese Informationen. Bei einem Notfall kann das Leben retten - zum Beispiel wenn ein Rettungsdienst wissen muss, was der Patient eingenommen hat. Außerdem können sich ähnliche Pillen leicht verwechseln, wenn sie nicht beschriftet sind.
Gibt es Unterstützung für Senioren mit wenig Geld?
Ja. In der Schweiz bieten viele Apotheken günstige Generika an. Außerdem gibt es Programme wie die „Medikamenten-Check-Up“-Initiative des National Institute on Aging, die kostenlose Hausbesuche von Apothekern anbietet. In vielen Gemeinden gibt es soziale Dienste, die bei der Beantragung von Zuschüssen oder Rabatten helfen. Fragen Sie bei Ihrer Krankenkasse, Ihrer Gemeinde oder der Sozialberatung nach - oft ist Hilfe verfügbar, ohne dass man sie sucht.
Wie erkenne ich, ob ein Medikament nicht mehr wirkt oder schädlich ist?
Achten Sie auf neue Symptome: ungewöhnliche Müdigkeit, Verwirrtheit, Stürze, Appetitlosigkeit, Hautausschlag, Übelkeit oder Veränderungen beim Urinieren. Manchmal sind es auch subtile Veränderungen - wie ein langsamerer Gang, weniger Gesprächsfreude oder vermehrte Schläfrigkeit. Wenn Sie etwas Neues bemerken, das nach Beginn eines neuen Medikaments auftrat, notieren Sie es und sprechen Sie mit Ihrem Arzt. Es könnte eine Nebenwirkung sein - oder ein Zeichen, dass das Medikament nicht mehr nötig ist.
Geschrieben von Fenja Berwald
Zeige alle Beiträge von: Fenja Berwald